„Menschen im Sterbewunsch so begleiten, dass sie nicht an ihrem Selbstbild zerbrechen“

Veröffentlicht am 07.06.2021

In einer zweiten Videokonferenz mit 50 Teilnehmenden diskutierte der Kaiserswerther Verband KWV die Antworten seiner Diakonieunternehmen und Diakonischen Gemeinschaften auf den Entscheid des Bundesverfassungsgerichtes, das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig zu erklären.

Zur Debatte um den assistierten Suizid als Streit um das Menschenbild sprach Professor Notger Slenczka von der Humboldt-Universität zu Berlin. Unser Selbstbild und Selbstverständnis liegen völlig in unserer Hand und sind frei von allen Einschränkungen, so argumentiere das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil.

Die Entscheidung des Suizidwilligen ist zu respektieren, so Slenczka. Jedoch schließe der Respekt vor der Entscheidung den Streit um die Lebensgestaltung nicht aus. Die Freiheit der Lebensgestaltung sei dabei jedoch immer endliche Freiheit. Sie übernehme Normvorstellungen, sehe sich Verpflichtungen gegenüber und werde von Schicksalsschlägen geprägt.

Die entscheidende Frage sei, ob irgendwann der Punkt komme, an dem man den Suizidwunsch nicht nur respektieren, sondern folgerichtig Beihilfe leisten müsse. Einem Christen sei es jedoch unmöglich, einem Urteil über ein lebensunwertes Leben zuzustimmen.

Es müsse plausibel werden, dass der Wert unseres Lebens nicht an den Leistungen hänge, die erbracht oder nicht erbracht werden könnten. Die Aufgabe sei, Menschen in ihrem Sterbewunsch so zu begleiten, dass sie nicht an ihrem Selbstbild zerbrechen.

Michael May, Leitung des Referats Diakonik-Ethik-Seelsorge der kreuznacher diakonie sprach zum Sterbewunsch in Wohnformen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Würden externe Dienstleister zur Suizidassistenz in ein Haus eingeladen, könne dies nicht verhindert werden. Es gehöre jedoch nicht zur Aufgabe der Diakonie, von sich aus Suizidhilfe anzubieten oder im Rahmen ihrer Pflichten durchzuführen. Als Regelleistung beschädige sie das Vertrauen derjenigen, die auf den uneingeschränkten Schutz ihrer Würde in Krankheit und bei Behinderung setzten.

Zum Wunsch nach assistiertem Suizid im Hospiz sprach Bettina Jacob, Einrichtungsleiterin des Evangelischen Hospizes Potsdam. In der Beratungsarbeit sei wichtig, darauf zu achten, wann die Beraterin oder der Berater so involviert sei, dass eine andere Meinung als die des Betroffenen nicht mehr möglich sei und wie die Balance zwischen Empathie und innerem Abstand zu halten sei. Auch sei wichtig, gut zuzuhören und viel zu kommunizieren. Beim Sterben begleiten bedeute nicht zum Tod zu verhelfen, so Jacob.

Eine gute Palliativmedizin verhindert die Nachfrage nach dem assistierten Suizid, so Dr. Klaus Lander, Ärztlicher Leiter Palliativnetz Süd- und Vorderpfalz der Diakonissen Speyer. Menschen mit einem Sterbewunsch bräuchten vor allem Zugang zu offenen Gesprächsangeboten, in denen ihr Anliegen ernstgenommen werde, ohne dies als unmittelbare Handlungsaufforderung zu missverstehen. Suizidprävention müsse Normalität werden, Suizidassistenz absolute Ausnahme bleiben. Dabei gelte es, zum Beispiel auch solche assistierten Suizide zu verhindern, die aus dem Beweggrund durchgeführt würden, Angehörigen nicht zur Last fallen zu wollen.

Über Erfahrungen aus Pflegeheimen berichtete der Pflegedirektor des Diakoniewerks Kropp, Ralf Christiansen. Immer wieder gehe es um die Frage, ob das Zulassen eines Sterbefastens assistierter Suizid sei. Hier sei es wichtig, die Mitarbeitenden zu begleiten, um das Umsetzen eines Wunsches auszuhalten, dem nichts entgegenzusetzen sei. Im Sterben nicht alleine zu sein, sei ein zentraler Punkt der Begleitung. Dabei gehe es durchaus auch darum, im letzten Stadium auch ungewöhnliche Wünsche zu erfüllen, wenn dies möglich sei.

Die Fallbeispiele aus der Praxis und langjährigen Begleitung von Menschen im Sterben oder mit Sterbewunsch haben eindrücklich gezeigt, welches Hoffnungspotential dennoch entstehen kann und dem Leben auch in seiner Fragilität Sinn verleiht, aber auch wie sehr Begleitung an dieser Stelle eine Kommunikation über Grenzen, Schuld und Scheitern ist.

Die Teilnehmenden aus den Mitgliedshäusern des KWV, die sich in Arbeitsgruppen intensiv mit den aufgeworfenen Fragen beschäftigt haben, sehen im Schutz des von Gott geschenkten Lebens die absolute Priorität. Um diesem gerecht zu werden, sind qualitätsvolle und situationsgerechte Rahmenbedingungen Voraussetzung, wie Beratung, Hospizangebote, Palliative Care oder Seelsorge, aber auch die Begleitung und Qualifizierung der Begleitenden in den verschiedenen damit befassten Berufsgruppen, wie die entsprechende personelle Ausstattung in der Pflege.

Gleichzeitig braucht es die Förderung einer gesellschaftlichen Kultur, die Probleme, Leiden, Sterben und den Tod nicht tabuisiert oder ausgrenzt, sondern als Teil des Lebens sehen hilft. Die seltenen Extremfälle, auf die die Ultima Ratio zutrifft, können nicht ausgeschlossen werden. Diese erfordern aber kein organisiertes Angebot der Suizidassistenz in Diakonieunternehmen. Der Fokus hat aus Sicht der Teilnehmenden für Diakonieunternehmen auf den vielfältigen Möglichkeiten und Maßnahmen der Prävention zu liegen, für deren Ausbau es noch ganz viel Luft nach oben gibt.

Der Kaiserswerther Verband (KWV) steht für die Wahrnehmung diakonischer Aufgaben in der Tradition der Mutterhausdiakonie Kaiserswerther Prägung. Er engagiert sich in besonderer Weise um die Stärkung und Entwicklung diakonischer Identität und die Verwirklichung von Gemeinschaft in Diakonie und schafft Begegnungsräume zum Austausch über die gemeinsamen Werte. Seit über 100 Jahren bildet der KWV ein Netzwerk der diakonischen Kompetenz und der christlichen Nächstenliebe. Er vertritt die Mitglieder auf unterschiedlichen politischen, kirchlichen und diakonischen Ebenen und unterstützt sie in ihrer Vernetzung. Der KWV verbindet 65 Diakonieunternehmen und Diakonische Gemeinschaften im KWV Deutschland.

Berlin, den 4. Juni 2021

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