Kaiserswerther Unternehmenskultur: Diakonie geschieht im Alltag

Thesenpapier zur Kaiserswerther Unternehmenskultur: Diakonie geschieht im Alltag

Beschluss der Mitgliederversammlung des Kaiserswerther Verbandes deutscher Diakonissen-Mutterhäuser am 18. September 2013 in Berlin

  1. Kaiserswerther Diakonissen-Mutterhäuser haben in den Notlagen des 19. Jahrhunderts eine vielfältige soziale Arbeit begonnen, die sich bis heute in den diakonischen Einrichtungen und Unternehmen fortsetzt, die aus dieser Tradition hervorgegangen sind. Über viele Jahrzehnte hin war die Arbeit getragen von Diakonissen, die ihren christlichen Glauben als starke Motivation zu sozialer Aktivität wahrnahmen. Sie sind in die diakonische Gemeinschaft eines Mutterhauses eingetreten und waren überwiegend in pflegerischen und erzieherischen Berufen tätig.
  2. Diakonissen und später Kaiserswerther Verbandsschwestern und Diakonische Schwestern und Brüder wussten und wissen sich als Mitglieder dieser Gemeinschaften einer Diakonie verpflichtet, die das helfende Tun als konstitutiven Teil des Glaubens sehen und in der Nachfolge Jesu dem Auftrag folgen, sich um Mühselige und Beladene zu kümmern. Soziale Not fordert sie zu helfendem Handeln heraus. Ihr Glaube motiviert und stützt sie zu aktivem Tun. Die biblische Überlieferung ist ihnen Einladung und Verpflichtung, auf die Erfahrung der Liebe Gottes anderen gegenüber in ihrem Verhalten zu antworten. So verstehen sich die Mitglieder der Kaiserswerther Häuser als Mitglieder diakonischer, nicht zuerst im engeren Sinn geistlicher Gemeinschaften.
  3. In Kaiserswerther Tradition hat die Gemeinschaft ihre Bedeutung darin, diakonisch Handelnde in ihrer Tätigkeit für die Welt, in ihrem Dienst an Jesus Christus in den Armen und Kranken und untereinander zu unterstützen. Die Gemeinschaft ist eine Dienstgemeinschaft für soziale Tätigkeit. Sie bietet den Mitgliedern Halt und Austausch und in der gemeinschaftlichen Frömmigkeit eine Rückbindung an die biblische Tradition.
  4. In einem auf das konkrete helfende Tun im Alltag bezogenen Diakoniebegriff liegt eine Stärke der Kaiserswerther Tradition. Diakonissen waren und sind – engagiert und gelegentlich stellvertretend für andere – Christenmenschen, die ihren Glauben in der Tat leben. Sie können auch begleitend zu ihrer sozialen Arbeit von ihrem Glauben sprechen, der sie motiviert und stützt. Die Kraft ihres Glaubens drängt jedoch zur Tat, nicht zum Reden zuerst. Im Alltag, im helfenden Handeln, im gelebten Leben zeigt sich ihre Diakonie. Die Gemeinschaft hat Interesse an der Stabilität des Hilfehandelns und an der Sicherung des Fortbestehens der sozialen Arbeit. Kaiserswerther Haltung, Frömmigkeit und Unternehmenskultur haben immer auch ökonomische Implikationen. So sind Diakonie, Glauben und Ökonomie immer aufeinander bezogen, teilweise in einem Spannungsfeld.
  5. Dies kennzeichnet einen wichtigen Teil der Kultur des Kaiserswerther Verbandes und seiner Häuser und der Unternehmenskultur der aus ihnen hervorgegangenen diakonischen Unternehmen, der „Werke“: Sie sind auf die helfende Tat, auf die erfolgreiche Hilfe in sozialer Bedürftigkeit orientiert, das missionarische Wort hat eher begleitenden Charakter. Schwestern und Mitarbeitende tun, was sie als ihren Auftrag sehen. Sie tun, wozu ihnen die Kraft gegeben wird. Sie antworten auf soziale Herausforderungen in den Arbeitsfeldern, in denen sie arbeiten, mit bestmöglicher Behandlung, Pflege, Betreuung, nach den Standards ihrer Zeit, im Einsatz für die Menschen, die ihnen begegnen. Sie sind für andere Menschen da. Dies zeichnet die Kultur des Helfens in Kaiserswerther Tradition aus.
  6. Wenn die neuere diakoniewissenschaftliche Diskussion anhand zentraler biblischer Texte (Lukas 10, Matthäus 25) die allgemein-menschliche Motivation als Grundlage auch des helfenden Handelns glaubender Menschen herausgearbeitet hat, dann kann die Kaiserswerther Unternehmenskultur an diese Einsicht anknüpfen. Helfendes Handeln ist in der Mitmenschlichkeit begründet und orientiert sich am Alltag der Welt und an Menschen in ihren Bedürfnissen. So ist Kaiserswerther Unternehmenskultur offen für Angehörige anderer religiöser und weltanschaulicher Traditionen. Ihr diakonisches Profil zeigt sich im konkreten Handeln, im Dienst, in der konkreten Zuwendung zu Menschen und der Arbeit für sie.
  7. Diakonie schließt eine hohe fachliche Qualifikation der Arbeit ein, aber ebenso eine Haltung, die die anderen wahrnimmt und deren Bedürftigkeit im Blick hat. Ebenso haben die eigene Bedürftigkeit und ethische Fragen an den Grenzen des Lebens einen wichtigen Stellenwert, wenn es darum geht, in Medizin und Pflege, Betreuung und Begleitung, Erziehung und Ausbildung, Service und Verwaltung den beruflichen Auftrag nach besten Kräften zu erfüllen und dabei das Selbstverständliche zu tun, die Hilfe zu leisten, die andere, Bedürftige erwarten. Diakonie gelingt, wenn sie mit Händen und Herzen getan wird. Gerade der Glaube an den leidenden Christus kann dazu beitragen, Situationen an den Grenzen menschlicher Existenz auszuhalten.
  8. In idealer Perspektive stehen alle Mitarbeitenden und Mitglieder von Diakoniegemeinschaften in einer Dienstgemeinschaft der Mitarbeit am diakonischen Auftrag. Darin findet das Schlagwort von der Diakonie in Gemeinschaft seinen Horizont und seine Berechtigung für Kaiserswerther Einrichtungen. Sie pflegen eine Unternehmenskultur, die dazu beiträgt, dass die Arbeit gut getan werden kann und aus der Rückbindung an biblische und diakonische Tradition zusätzliche Stützung erfährt.
  9. Diakonische Fortbildung bietet Veranstaltungen an, die zu besserem Helfen und eigener Reflektion befähigen, gerade auch fachliche Angebote. Zusätzliche niedrigschwellige Angebote zu religiösen Themen können Mitarbeitende etwas entdecken lassen von der Kraft des biblischen Glaubens und der Motivation diakonischer Tradition für das Alltagshandeln. Die Beschäftigung mit der biblischen Überlieferung kann dazu Anleitung geben. Elemente des Glaubens fördern und stützen die Motivation, in beruflichen und privaten Kontexten Nächstenliebe zu leben. Auf dem Hintergrund unserer Geschichte machen wir als Kaiserswerther Häuser Mitarbeitenden Angebote der Begleitung, die diakonische Arbeit auch als von Gott erwarteten Dienst, als Gottesdienst zu verstehen und den Glauben als Kraftquelle und Orientierung für diakonisches Handeln, die Zuwendung zu den Menschen wahrzunehmen.
  10. Zur Weitergabe Kaiserswerther Kultur in unseren Unternehmen gehört es auch, die Geschichte und die Geschichten der Häuser zu erzählen. Sie können – wie die biblische Überlieferung selbst – anschlussfähig sein für heutiges Leben und Handeln, für einzelne und in der Gemeinschaft, auch in der Dienstgemeinschaft eines diakonischen Unternehmens. Die Geschichten der biblischen Überlieferung und der Tradition können Anstöße geben, die das Denken und Verhalten im Alltag justieren und unterstützen. Sie vermitteln – erzählend, am Beispiel – die Werte, die unsere Häuser in der Vergangenheit bestimmt haben. Engführungen werden sichtbar, eine patriarchal/matriarchale Diakonissentraditon und paternalistisches Hilfeverständnis. Dies leitet dazu an zu fragen, wie gegenwärtiges Verhalten bestimmt sein kann, in Kontinuität und Diskontinuität zu einer Geschichte, in der befreiender Glaube motivierende Kraft zeigt.
  11. Es ist lohnend, Beispiele gelungener Realisierung der Kaiserswerther Unternehmenskultur untereinander auszutauschen, auch Beispiele überzeugender Versuche, aus den alten Geschichten Leitlinien für die Gegenwart und Zukunft zu entwickeln und Mitarbeitenden tragfähige Perspektiven für ihr diakonisches Handeln zu eröffnen. Die Rituale, die sich in Kaiserswerther Häusern entwickelt haben, haben die Einrichtungen geprägt. Einführungen und Verabschiedungen, Jubiläen und Andachten, Kirchenräume und Festkultur und eben das Geschichtenerzählen über die Generationen sind wertvolle Instrumente für die weitere Entwicklung diakonischer Arbeit.
  12. Typisch Kaiserswerth ist es, dass der Fokus auf der sozialen Arbeit liegt, dass begleitend dazu auch Geschichte erinnert, vom Glauben erzählt wird, Rituale das Leben und die Arbeit prägen und die Identität durch den Bezug auf die Tradition gestärkt wird. Kern der Kaiserswerther Unternehmenskultur sind eine nüchterne, an den konkreten Bedürfnissen der Menschen orientierte Haltung und Frömmigkeit, die zu einem Leben der Tat anleiten und bestmögliche Unterstützung zu einem helfenden Handeln bietet. Diakonie geschieht im Alltag.